Quantcast
Channel: imgriff.com » Faulheit
Viewing all articles
Browse latest Browse all 2

Holm Friebes neues Lob der Faulheit: Wie viel Prokrastination ist gesund?

$
0
0

Alles wĂ€re besser, wenn wir nur fauler wĂ€ren und nicht stĂ€ndig aktionistisch Placebo-Arbeit verrichten wĂŒrden, sagt Bestseller-Autor Holm Friebe. Ich habe da so meine Zweifel – auch wenn viele von Friebes Gedanken gut sind, muss man doch differenzieren. Ein Kommentar.

Patrick Feller bei flickr.com (CC BY 2.0)Faulheit und ProduktivitĂ€t – wie passt das zusammen? Offenbar sehr gut, denn das Thema Faulheit haben wir schon öfter beim imgriff.com besprochen – zuletzt etwa Patrick Mollet, der offen zugab: «Ja ich bin faul – und deshalb bin ich produktiv». Das Thema liegt im Trend: Neulich hat sich etwa der Journalist und Autor Holm Friebe intensiv damit befasst.

Wir erinnern uns: Friebe ist jener GrĂŒnder der Zentralen Intelligenz Agentur, der gemeinsam mit Sascha Lobo 2006 das Buch «Wir nennen es Arbeit» (Affiliate-Link) veröffentlichte und dadurch den Begriff «Digitale BohĂšme» prĂ€gte. Damit ist er praktisch prĂ€destiniert dafĂŒr, ĂŒber Faulheit zu schreiben. Und das hat er, der zur Zeit eine Vertretungsprofessur an der Kunsthochschule Kassel innehat, nun wieder getan: In seinem neuen Buch «Die Stein-Strategie. Von der Kunst, nicht zu handeln» (Affiliate-Link), und im Magazin der SĂŒddeutschen Zeitung.

Wider den Aktionismus

Friebes zentrale Aussage: Statt in blinden Aktionismus zu verfallen, wie das in vielen Situationen geschieht, sollte man lieber mal tief durchatmen, prokrastinieren, abwarten und in Ruhe nachdenken. FĂŒr so genannte «Placebo-AktivitĂ€ten» fĂŒhrt Friebe allerlei Beispiele ins Feld. Etwa unser aufgeblĂ€htes Gesundheitssystem, in dem scheinbar wahllos irgendwelche Therapien verschrieben werden, oder der bĂŒrokratische Apparat, der sich getreu dem Parkinsonschen Gesetz selbst beschĂ€ftigt nach dem Motto: «Jede Arbeit dehnt sich so lange aus, bis sie die dafĂŒr vorgesehene Zeit vollstĂ€ndig ausfĂŒllt.»

Laut Friebe gibt es tausend GrĂŒnde und Motive, Arbeit zu schaffen, wo es eigentlich keine gĂ€be: «Budgetposten mĂŒssen verteidigt, Vorgesetzte oder AktionĂ€re wollen besĂ€nftigt, Planlosigkeit soll bemĂ€ntelt werden.» Wie schon der deutsche Offizier Kurt von Hammerstein-Equord sagte: Die klugen und faulen Soldaten seien fĂŒr höchste FĂŒhrungsaufgaben prĂ€destiniert, da nur sie ĂŒber die Besonnenheit und NervenstĂ€rke verfĂŒgten, auch schwierige Entscheidungen zu meistern. Dass in den Unternehmen lĂ€ngst die Scheinproduktiven das Sagen haben, hat auch Friebe begriffen – und genau deshalb hat er sein Buch geschrieben.

Ich muss zugeben: Seine These hat etwas fĂŒr sich. Sehr gut gefĂ€llt mir beispielsweise sein Ausdruck «kulturelles ADHS». Und wieder einmal ist das protestantische Arbeitsethos an dem Über-ProduktivitĂ€ts-Dilemma schuld, das unsere Gesellschaft erfasst hat. DarĂŒber habe ich ja hier bei imgriff.com schon im vergangenen Jahr geschrieben.

Unbestritten ist die Hektik, mit der in den Medien Nachrichten produziert werden und mit der bei Twitter, Facebook & Co. um Aufmerksamkeit gekĂ€mpft wird: 2011 hat mein Artikel zu dem Thema hier bei imgriff zu heftigen Diskussionen gefĂŒhrt. Viele sind sich einig: Wichtiger als auf jeden schnelllebigen Trend – im Internet und sonstwo – aufzuspringen, ist «gelassen und zielgerichtet dem eigenen Tagwerk nachzugehen». Schön.

Immer nur prokrastinieren ist auch keine Lösung

Oder doch nicht so ganz. Denn natĂŒrlich ist blinder Aktionismus schlecht. Doch die HĂ€nde immer in den Schoß zu legen und zu warten, was passiert, wie es Friebe in seinem Artikel – ein wenig plakativ und natĂŒrlich nicht 100% ernst gemeint – fordert, kann nicht die Lösung sein. Auch nicht, dass er Angela Merkel fĂŒr diese politische Strategie lobt. Friebe wĂ€re selbst bald arbeitslos, wenn alle tĂ€ten was er ihnen rĂ€t. Denn schließlich lebt auch er davon, dass sich die Leute von ihrem Tagewerk durch Texte wie den seinen ablenken lassen.

In den Kommentaren zu Friebes Beitrag im SZ-Magazin findet sich die perfekte Veranschaulichung seiner Idee: Es wird angemerkt, dass es auch beim Kochen gĂŒnstiger sein kann, den Braten mal etwas lĂ€nger schmoren zu lassen. Genau das bringt mich zum wesentlichen Punkt: Und wie verfĂ€hrt man dann hinterher beim Saubermachen der KĂŒche? Soll man etwa abwarten, bis die HeinzelmĂ€nnchen kommen und alles fĂŒr einen erledigen?

Prokrastinieren bringt in vielen FĂ€llen eben doch nicht weiter, wie ich in einem Selbsttest feststellen durfte. Radikales Abarbeiten von Aufgaben kann manchmal durchaus befreiender sein. Und auch wenn bei wichtigen Entscheidungen Aktionismus und Übereile schlecht sind, kommt es hĂ€ufig auch darauf an, schnell zu handeln: Zögert man zu lange, ist die Konkurrenz schneller – etwa wenn es um die Umsetzung von GeschĂ€ftsideen geht.

Mein Fazit: Ich mag Friebes These und habe mich selbst schon oft mit Àhnlichen Thematiken befasst. In vielen FÀllen ist Innehalten und Nachdenken angebrachter als sofortiges Lospreschen. Aber mir kommen ebenso viele FÀlle in den Sinn, in denen zu lange gezögert wurde und in denen sich das Zögern eher negativ ausgewirkt hat. Daher finde ich Friebes Verallgemeinerung unpassend. Wie so oft kommt es auf den goldenen Mittelweg an.

 

Bild: Patrick Feller bei flickr.com (CC BY 2.0)


SPONSOREN
↧

↧
Viewing all articles
Browse latest Browse all 2

Latest Images





Latest Images